Datenschutzbeauftragte warnt Parteien vor gezielter Wahlwerbung

23.04.2024 06:00

Werberiesen im Internet haben in der Regel eine präzise Vorstellung
davon, wer gerade vor dem Monitor oder Smartphone sitzt. Dieses
Wissen könnte auch für politische Kampagnen missbraucht werden.

Berlin (dpa) - Die Berliner Landesdatenschutzbeauftragte Meike Kamp
hat die politischen Parteien davor gewarnt, beim Wahlkampf für die
bevorstehenden Europawahlen gezielt Werbung an bestimmte
Personengruppen auszuspielen. Die Parteien sollten aber nicht nur auf
das sogenannte Microtargeting bei digitaler Wahlwerbung verzichten,
sondern auch für Angriffe auf ihre IT-Systeme sowie Desinformation
gewappnet sein, heißt es in einem offiziellen Schreiben von Kamp an
alle im Bundestag vertretenen Parteien mit Sitz in Berlin.

Nach einer Beschwerde der europäischen Datenschutzvereinigung Noyb
aus dem März 2023 hatten einzelne Parteien zuletzt bei der
Bundestagswahl 2021 das umstrittene Microtargeting auf Facebook
verwendet. Das US-Netzwerk habe dabei im Hintergrund die politischen
Ansichten der Nutzerinnen und Nutzer ausgewertet. Datenauswertungen
hätten ergeben, dass Facebook-User gezielt mit politischer Werbung
adressiert wurden. Dies sei per se zwar nicht verboten. Allerdings
seien politische Meinungen nach Artikel 9 der Europäischen
Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) besonders geschützt und dürften
nicht Grundlage einer gezielten Werbeansprache sein, erklärte Noyb.

Kamp wies jetzt in ihrem Schreiben darauf hin, dass neben den
Online-Plattformen, auf denen die Werbung geschaltet wird, auch die
Parteien eine rechtliche Verantwortung für die Datenverarbeitungen
tragen. Die Parteien nutzten die von den Werbenetzwerken über
potenzielle Wählerinnen und Wähler gesammelten personenbezogenen
Daten, indem sie daraus erstellte Interessenkategorien für die
gezielte Ausspielung ihrer Wahlwerbung auswählten. «Es besteht die
Gefahr, dass das zielgenaue Ausspielen von politischer Werbung auf
der Grundlage von umfassenden Nutzungsprofilen den öffentlichen
Diskurs verzerrt, polarisierende Inhalte verstärkt und Debatten
fragmentiert.»

Wahlwerbung, die auf der Grundlage von umfangreichen Nutzungsprofilen
selektiv ausgespielt werde, berge Risiken für die freie
Meinungsbildung, erklärte Kamp. Für die Adressaten dieser Werbung
sei es schwer einzuordnen, was die Werbenden veranlasst habe,
speziell sie mit dem spezifisch zugeschnittenen Inhalt anzusprechen.
Es sei zu befürchten, dass Adressaten und Adressatinnen von
Wahlwerbung «nur noch mit dem konfrontiert werden, was sie
individuell hören möchten, sodass zentrale Funktionen der Parteien
wie die politische Willensbildung und die Anregung zum öffentlichen
Diskurs auf der Strecke bleiben».

In ihrem Schreiben an die Parteien warnt die Datenschutzbeauftragte
auch vor den Gefahren von Desinformationskampagnen und
Cyberangriffen. Desinformation könne verschiedene Formen annehmen,
von gefälschten Nachrichtenartikeln und manipulierten Bildaufnahmen
bis hin zu gezielten Social-Media-Kampagnen. «Angriffe auf die
IT-Infrastruktur einer Partei können in diesem Zusammenhang darauf
abzielen, vertrauliche Informationen zu stehlen, um sie zur
Verbreitung oder zur Legitimierung von Fehlinformationen zu nutzen.»

Die Wahl zum Europäischen Parlament findet vom 6. bis 9. Juni 2024
statt.