Druck bei EU-Treffen: Bundesregierung fordert Flugabwehr für Ukraine

22.04.2024 15:49

Die Ukraine scheint im Abwehrkrieg mit Russland mit dem Rücken zur
Wand zu stehen. Die Bundesregierung fordert von Partnern, bei der
Unterstützung ihrem Beispiel zu folgen.

Luxemburg (dpa) - Die Bundesregierung hat bei einem EU-Treffen in
Luxemburg mit Nachdruck für die deutsche Initiative zur Lieferung
zusätzlicher Flugabwehrsysteme an die Ukraine geworben. «Wir von
deutscher Seite (...) appellieren eindringlich (...), dass jeder noch
einmal in seine Bestände schaut und sichtet, wie die
Luftverteidigungsunterstützung ausgebaut werden kann», sagte
Außenministerin Annalena Baerbock am Montag. Russland greife ganz
gezielt auch die zivile Infrastruktur an.

Verteidigungsstaatssekretärin Siemtje Möller erklärte, die aktuelle
Lage mache deutlich, dass die Ukraine mehr Schutz brauche. Im besten
Fall könnten künftig Luftangriffe aus weiterer Distanz abgewehrt
werden - «also noch bevor russische Flugzeuge ihre Waffen einsetzen
können». Deutschland hatte bereits vor rund einer Woche die Lieferung
eines zusätzlichen Flugabwehrraketensystems vom Typ Patriot
angekündigt. Es dient zur Bekämpfung von Flugzeugen, taktischen
ballistischen Raketen und Marschflugkörpern.

Der per Videokonferenz zugeschaltete ukrainische Außenminister Dmytro
Kuleba forderte die in Luxemburg versammelten Kolleginnen und
Kollegen der EU-Staaten auf, nicht zu debattieren, sondern zu
handeln. «Wenn wir gemeinsam und ohne Angst agieren, können wir die
schlimmsten Szenarien verhindern», sagte er. Es brauche konkrete und
mutige Entscheidungen, um der Ukraine so schnell wie möglich
zusätzliche Patriot- und Samp/T-Systeme zur Verfügung zu stellen.
Zudem würden auch Raketen, Artillerie und Munition sowie andere
Waffen und Ausrüstung gebraucht. 

Neue Bedrohungslage

Aus dem Verteidigungsministerium in Berlin hatte es bereits vor
einigen Tagen geheißen, die ukrainischen Partner hätten eine
veränderte Bedrohungslage gemeldet. Russland nutzt demnach zunehmend
industriell produzierte Gleitbomben, die aus großem Abstand von
Kampfflugzeugen abgeschossen werden können. Dementsprechend verlagere
sich auch das Abwehrgeschehen. 

Gegen die mit Flügeln ausgestatteten Gleitbomben hat die ukrainische
Seite bislang nicht ausreichend Abwehrmöglichkeiten. Ein Gegenmittel
wären mehr Patriot-Flugabwehrsysteme, die mit ihrer Reichweite
russische Flugzeuge auf Abstand halten könnten, was aus Sicht von
Militärexperten erfolgversprechend wäre. Die drei Systeme, über die
Kiew verfügt, werden aber benötigt, um die eigene Rüstungsproduktion

und Infrastruktur vor russischen Raketenangriffen zu schützen. Die
Ukraine bräuchte also mehr davon.

Verheerende Wirkung von Gleitbomben

Zuletzt setzte Russland nach ukrainischer Zählung täglich mehr als
100 Gleitbomben mit einem Gewicht von 250, 500 oder mehr Kilogramm
gegen ukrainische Stellungen ein. Trotz der laut Berichten nicht sehr
hohen Präzision werden durch die Detonationen Soldaten in einem
größeren Umkreis kampfunfähig gemacht. Ausgebaute Befestigungen
werden komplett zerstört.

Aufgrund der geringen Zahl an weitreichenden Flugabwehrsystemen, die
auch ballistische Raketen abschießen können, sind auch russische
Raketenschläge im ukrainischen Hinterland immer wieder erfolgreich.
Seit Mitte März wurden mehrere Wärmekraftwerke und mindestens ein
Wasserkraftwerk zumindest stark beschädigt. Für den Sommer wird
bereits vor größeren Stromabschaltungen gewarnt.

Hoffen auf die Kontaktgruppe

Konkrete Zusagen für neue Luftverteidigungssysteme für die Ukraine
gab es bei dem EU-Treffen am Montag zunächst nicht. Länder wie
Spanien, Schweden, Italien und die Niederlande deuteten aber
Unterstützungswillen für die deutsche Initiative an. Mit konkreten
Ankündigungen wird spätestens bei der nächsten Sitzung der
US-geführten Kontaktgruppe zur Koordinierung der internationalen
Militärhilfe für die Ukraine gerechnet. Die Teilnehmer des
sogenannten Ramstein-Formats wollen sich nach Angaben von Diplomaten
am kommenden Freitagnachmittag per Videokonferenz zusammenschalten,
wenn bis dahin das geplante neue US-Unterstützungspaket im Wert von
61 Milliarden US-Dollar (57 Milliarden Euro) endgültig beschlossen
ist.

Dass das US-Repräsentantenhaus dem Hilfspaket am Wochenende nach
langer Blockade zustimmte, wertete Außenministerin Baerbock am Montag
als großen Durchbruch. «Das ist nicht nur ein guter und wichtiger
Moment für die Ukraine, sondern das ist auch ein wichtiger Moment für
die Sicherung der Europäischen Friedensordnung», sagte sie. Der
russische Präsident Wladimir Putin nutze derzeit alle vorhandenen
Mittel dafür, um die Ukraine zu zerstören und die europäische
Friedensordnung anzugreifen.