Global, politisch, jung: Mit 16 bei der Europawahl dabei Von Sabina Crisan, dpa

22.04.2024 09:59

Am 9. Juni findet in Deutschland die Europawahl statt. Erstmals
dürfen auch Jugendliche ab 16 abstimmen. Doch haben sie überhaupt
Interesse an Europa?

Berlin (dpa) - Es ist eine Premiere: Bei der Europawahl am 9. Juni
dürfen in Deutschland zum ersten Mal Jugendliche ab 16 Jahren ihre
Stimme abgeben. Bislang lag das Mindestwahlalter bei 18 Jahren. Und
auch wenn der Anteil der 16- und 17-Jährigen an den Wahlberechtigten
nur rund zwei Prozent ausmacht: Die Neuregelung ist in Meilenstein
für Deutschland. Doch inwieweit interessieren sich junge Leute
überhaupt für Europa? Und was halten sie selbst von der Reform? 

Pausenhof mit Politik

«Wir finden das Wählen mit 16 sehr gut», sagt der Vorsitzende des
Länderschülerbeirats Baden-Württemberg, Joshua Meisel. Möglichst fr
üh
die Möglichkeit zu haben, sich an der Demokratie zu beteiligen, werde
im «Endeffekt auch die Politikverdrossenheit verringern», meint der
19-Jährige. «Man merkt schon früh, man kann auch mitbestimmen, man
wird ernst genommen als junger Wähler.» 

Meisel erinnert sich, wie seinerzeit in der fünften Klasse die
US-Präsidentschaftswahl 2016 in der Schule diskutiert wurde. Ob man
über die EU genauso viel spricht? «Europa ist ein Thema, an dem sich
die Geister ein bisschen scheiden. Es gibt die einen, die sehr für
Europa brennen», sagt er. Und dann gebe es andere, denen regionale,
lokale und Bundespolitik wichtiger sei. Er selbst ist begeisterter
Europäer: «Ich persönlich finde Europa sehr, sehr wichtig, auch
wählen zu gehen und mitzumachen, weil die EU schon lange eine
Friedensgarantie in Europa gewesen ist.» 

Globales Denken mit 16

Nach Angaben des Jugendforschers Klaus Hurrelmann von der Berliner
Hertie School zeigen Studien, dass junge Leute sehr europafreundlich
sind. «Europa ist sehr positiv besetzt in der jungen Generation»,
betont er. In der Eurobarometer-Umfrage des Europäischen Parlaments
gaben 91 Prozent der 15- bis 24-Jährigen an, dass die Teilnahme an
den Europawahlen für sie wichtig sei. 

«Es ist eine große Chance, das Wahlalter in die Schulzeit zu legen,
weil wir damit eine staatliche Institution haben, die für alle
Wahlberechtigten das Thema aufbereiten kann», sagt der Vorsitzende
des Deutschen Kinderhilfswerkes, Holger Hofmann. Für Jugendliche sei
Europa ein Kontext, den sie viel selbstverständlicher wahrnähmen als
manche andere Altersgruppe. «Ihnen ist bereits klar, dass die
Probleme, die sie in der Welt erwarten, nur global gelöst werden
können», sagt Hofmann. Der Weg führe also nach Europa.

Laut Statistischem Bundesamt lebten Ende 2023 rund 1,4 Millionen 16-
und 17-jährige Erstwähler in Deutschland, die nun bei der Europawahl
abstimmen dürfen. Wie viele dann tatsächlich zur Urne gehen, ist eine
interessante Frage. Wahlanalysen zeigten eher einen Trend zu
niedrigerer Wahlbeteiligung bei jüngeren Altersgruppen. 

Das habe auch biografische Gründe, sagt Jugendforscher Hurrelmann.
Die älteren Generationen empfänden das Wählen als eine soziale,
gesellschaftliche Pflicht. Sie wüssten es zu schätzen, dass es
möglich sei, frei seine Stimme abzugeben. «Für die jüngeren Mensche
n
ist das eine Selbstverständlichkeit», sagt er. «Sie gehen am liebsten

zur Wahl, wenn ihre Stimme wirklich auch zählt.»  

Klare Botschaften und soziale Medien

Hurrelmann ist überzeugt: Bereits im 14. Lebensjahr seien junge
Menschen in der Lage einzuschätzen, was bei einer Wahl passiert. Mit
16 Jahren könne man also eine Wahlpräferenz äußern. Um sich diese
junge Wählergruppe zu sichern, müssten Parteien klare Konturen zeigen
und attraktiv kommunizieren. «Inhaltliche Orientierung ist für junge
Leute noch wichtiger als für alle anderen», betont der
Jugendforscher. Die junge Generation sei themenorientiert und im
politischen Spektrum breit aufgestellt.

Eine wichtige Rolle spielen dabei die sozialen Medien. «Die meiste
politische Information wird über die digitalen Plattformen
aufgenommen», erklärt Hurrelmann. Das müssten Parteien auch bedienen.

Die AfD nutzt die sozialen Medien besonders stark, um Jugendliche mit
ihren Botschaften zu erreichen. «Die haben in der jungen Generation
ihre Resonanz und entsprechend steht die Partei sehr gut da», sagt
der Jugendforscher. Dass junge Leute weniger über traditionelle
Kommunikationskanäle erreicht werden könnten, hätten andere Parteien

lange nicht verstanden. «Sie tun es jetzt - noch reicht es
vielleicht, im Wahlkampf das eine oder andere wieder aufzuholen.»  

Bereit für die Zukunft: Wahlsimulation für rund 1,26 Millionen
Jugendliche

Parallel zur Europawahl wird am 9. Juni auch die Juniorwahl 2024
stattfinden. Dabei simulieren Schüler und Schülerinnen der
Jahrgangsstufen 7 bis 13 die Wahl. Das Wahlrecht ab 16 habe einen
Impuls in die Schulen gegeben, sagt Gerald Wolff von der Juniorwahl.
«Wir sehen eine extrem hohe Nachfrage: Die Anzahl der Schulen hat
sich im Vergleich zur letzten Europawahl verdoppelt», sagt er. Jede
dritte Schule wird den Angaben zufolge bei der Wahlsimulation
mitmachen. Rund 1,26 Millionen Jugendliche und etwa 40 000
Politiklehrkräfte werden sich beteiligen. «Da sieht man, dass das
Wahlrecht ab 16 definitiv etwas mobilisiert hat», sagt Wolff. Das
Projekt bietet seit über 20 Jahren ein Angebot zur politischen
Bildung und wird vom Bundesfamilienministerium und der Bundeszentrale
für politische Bildung gefördert. 

Gegen Gleichgültigkeit kämpfen

Alle Schulformen machten mit, sagt Wolff. Wissenschaftliche
Untersuchungen hätten auch gezeigt: Wer die ersten drei Male in
seinem Leben wählen gehe, werde mit einer höheren Wahrscheinlichkeit
sein Leben lang wählen. «Worum es insgesamt geht, ist der Kampf gegen
Gleichgültigkeit.»