«Unser aller Präsident» - Van der Bellen will versöhnen Von Matthias Röder, dpa

04.12.2016 19:33

Er war nicht gerade der typische Wahlkämpfer. Alexander Van der
Bellen ist ein Politiker der eher bedächtigen Sorte. Nach seinem Sieg
will er sich als Brückenbauer zeigen. Das wird schwierig.

Wien (dpa) - Dieser Sieg ist eine faustdicke Überraschung. Zumindest
sein Ausmaß. Alexander Van der Bellen schien selber etwas verwirrt.
«Ich habe schon gehofft, dass es gut geht», so die typisch trockene
Reaktion des 72-jährigen Wirtschaftsprofessors beim Eintreffen in der
Wiener Hofburg. Ein langer Händedruck mit FPÖ-Kontrahent Norbert
Hofer vor laufenden Kameras war dann gleich ein erste Geste mit fast
programmatischem Charakter. Er wolle, dass die Menschen ihn künftig
als «unser aller Präsident» bezeichneten. Die Rolle des Brückenbaue
rs
wird Van der Bellen nach einem überaus langen und teilweise sehr
harten Lager-Wahlkampf sowieso zufallen.

Auch Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzender Christian Kern betonte gleich
in seiner ersten Reaktion, dass sich an diesem Abend niemand als
Verlierer sehen solle. Ein Versuch, die FPÖ-Klientel zu befrieden.
«Die Polarisierung ist nicht automatisch weg», sagte der Politologe
Peter Filzmaier im ORF.

Für viele Bürger war Van der Bellen im Vergleich zu Hofer laut ersten
Analysen wieder nur das kleinere Übel. 42 Prozent seine Unterstützer
wählten ihn, weil sie Hofer verhindern wollten. Immerhin hat sich
damit der Anteil echter Fans sogar vergrößert. Bei der ersten
Stichwahl am 22. Mai hatten 52 Prozent aus diesem Motiv dem
ehemaligen Grünen-Chef ihre Stimme gegeben. Die Kernwählerschaft der
Grünen liegt in Österreich seit Jahren bei nur rund 12 bis 15
Prozent.

Seine «Heimat»-Kampagne mit neu gekauftem Trachten-Sakko hat Van der
Bellen nun auch auf dem Land viele neue Stimmen gebracht. In fast
allen Gemeinden konnte der 72-Jährige im Vergleich zum Mai laut
Hochrechnung zulegen. In Wien baute er seinen schon damals großen
Vorsprung sogar noch aus - von 63 auf 65 Prozent. Die
Establishment-Vorwürfe von Hofer und dessen Anti-Ausländer-Kurs
verfingen in der Multikulti-Millionen-Metropole an der Donau am
allerwenigsten.

Hofer wiederum sieht die Niederlage durchaus sportlich. «Dieser Weg
dauert vielleicht ein bisschen länger. Aber am Schluss kommt immer
der Erfolg», sprach er sich Mut zu. Er hat auch allen Grund. Kein
Politiker der FPÖ, auch nicht der einst bewunderte wie verachtete
Jörg Haider, hatte jemals einen solchen Wählerzuspruch von 46,7
Prozent. Und folgerichtig kündigte Hofer gleich einen zweiten Anlauf
an. Er werde 2022 bei der nächsten Präsidentenwahl wieder für die FP
Ö
antreten. «Ich lasse meine Wähler niemals im Stich.»

Für Van der Bellen ist die Versöhnungsaufgabe aber spätestens bei der

nächsten Parlamentswahl eine kaum zu bewältigende Herausforderung. Er
hat sich im Vorfeld der Präsidentenwahl dazu verpflichtet, eine
FPÖ-Regierung unter ihrem Chef Heinz-Christian Strache zu verhindern.
Er werde auch einen etwaigen Wahlsieger Strache nicht mit der
Regierungsbildung beauftragen, hatte Van der Bellen versprochen. Für
diese Art von Demokratieverständnis hatte ihn Hofer «faschistischen
grünen Diktator» genannt. Die Gräben sind tief.